Grundlagen 13: Was ist eine Heusinger-Steuerung?
Die Steuerung einer Dampflokomotive ist wesentlich komplizierter als die einer stationären Maschine. Die Lok
muß u.a. mit verschiedenen Leistungen betrieben werden können und, vor allem, auch rückwärts
fahren können. Es muß also eine sinnreiche Kinematik (das ist ein bewegliches Gestänge) erfunden
werden, mit dem diese besonderen Anforderungen ausgeführt werden können und vom Lokführer einfach
bedient werden können.
Eine der ersten brauchbaren Steuerungen war die Allan-Steuerung, die je ein Gestänge für Vorwärts-
und Rückwärtsfahrt hatte. Zwischen diesen beiden Extremen konnte mit einer sinnreichen Kinematik beliebig
(mit Mittelstellung = Null) hin- und hergeschoben werden. Dieses Gestänge war daher leider ausgesprochen
kompliziert, so daß viele Versuche gemacht wurden, es zu vereinfachen.
Der Herr Heusinger hatte die Idee, daß der Rückwärtsgang nichts anderes zu sein hatte als ein
umgekehrter Vorwärtsgang. Seine Konstruktion hat sich weltweit durchgesetzt; praktisch alle heute fahrenden Loks
besitzen diese Steuerung.
Der Zweck aller Steuerungen ist, daß der Dampf in benötigter Menge und zur richtigen Zeit in die
Arbeitszylinder eingelassen wird und der "verbrauchte" Dampf auf der anderen Seite wieder ausströmen
kann. Dies wird mit einem sog. Schieber (also einer Art Ventil) bewerkstelligt, der durch die (Heusinger-)Steuerung
angetrieben wird. Im vorderen bzw. hinteren Totpunkt des Antriebs muß die Dampfrichtung im Arbeitszylinder
umgekehrt werden, damit der Kolben von 'Drücken' auf 'Ziehen' umgesteuert werden kann. In diesem Punkt (wo der
Kolben zum Stehen gekommen ist) muß der Schieber eine Bewegung ausführen. Da dies bei Vorwärts-
wie bei Rückwärtsfahrt passieren muß, ebenso beim vorderen wie beim hinteren Totpunkt, wird die
Schiebersteuerung (notwendigerweise) um genau 90° versetzt angesteuert. Dies geschieht über die Gegenkurbel,
die meist auf der Haupttreibachse angebracht ist. Das ist die Achse, auf die die Treibstange wirkt. Diese ist in
ihrer Wirkung mit dem Pleuel, wie er bei anderen Motoren genannt wird, zu vergleichen. Der Kreuzkopf ist das Gelenk
zwischen Treibstange und Kolbenstange. Er ist in Gleitbahnen geführt und nimmt die erheblichen Querkräfte
auf, die von der Treibstange kommen. Daher wird der Kolben, anders als bei unseren kleinen Auto-Motoren, von diesen
verschleißfördernden Querkräften verschont.
Übrigens "zielt" die Kolbenstange immer genau auf die Mitte der Treibachse, niemals daneben. Dadurch
sind die Seitenkräfte im Kreuzkopf nach oben und unten gleich groß (und daher minimal) und der
Verschleiß ist zu beiden Seiten gleich.
Gehen wir das Gestänge einmal 'im Kreis' durch:
Erst einmal nur der Antrieb:
Der Kolben wird durch den in den Zylinder einströmenden Dampf bewegt (hier nach rechts).
Die Kraft wird über die Kolbenstange (kein Text) auf den Kreuzkopf übertragen.
Weiter geht die Kraft über die Treibstange auf die Haupttreibachse (in der Zeichnung links),
die über die Kuppelstange(n) die weiteren Treibachsen bewegt.
Das Folgende dient nur der Steuerung des Dampfes:
Die Gegenkurbel betätigt die Schwingenstange (mit 90° Versatz),
die die Schwinge bewegt. Diese dreht sich um den eingezeichneten Mittelpunkt hin und her.
In einem Gleitstein in der Schwinge kann die Schieberschubstange auf- und abbewegt werden.
Hierdurch wird es möglich, auf Vor- und Rückwärtsfahrt umzustellen.
Die Schieberschubstange bewegt die Schieberstange, auf der der Schieber (kein Text) sitzt.
Der Schieber steuert die Dampfzufuhr zum Zylinder.
Kleine Korrekturen am Lauf des Schiebers werden durch den Voreilhebel vorgenommen,
der durch die Lenkerstange vom Kreuzkopf angetrieben wird.
Bei der Recherche im Internet, wozu genau denn eigentlich der Voreilhebel 'gut' sei, stieß der Autor auf eine
englischsprachige Seite,
die diese Frage zwar auch nicht beantwortet, aber in allerfeinster Weise jede Art von Steuerungen zum 'Spielen'
anbietet:
Das file 'valgr10' enthält Dokumentation und Start-Programm,
das file 'valgr10a' Heusinger- und Allan-Trick-Steuerung. Diese beiden werden im englischsprachigen Raum als
Stephenson- und Walschaerts-Steuerung bezeichnet.
Die erste Datei ist wichtig, damit Sie verstehen, wie die zweite bedient werden muß. Die zweite Datei
benötigt nach Entpacken 34 MB Speicher. Urteil: so detailreich hätten wir die Animation nie
hinbekommen; sehr empfehlenswert.
Falls Sie andere Steuerungen 'ausprobieren' möchten: Auf der genannten Seite befinden sich noch weit über
50 (!!!) andere Steuerungen, von Stephenson bis heute, alle interaktiv beweglich. Unglaublich.
Allerdings sind diese Zeichnungen alles 'Strich-'Zeichnungen, die nur die Geometrie und die Funktionalität der
Steuerungen darstellen. Wer es lieber etwas 'plastischer' haben möchte, sei auf
wikipedia
verwiesen.
Diese Seite wurde überarbeitet, weil die damaligen links (von 2006) nicht mehr funktionierten.
Danke an H.Böttger für den Hinweis.
17.01.2014:
Zum Thema 'Voreilhebel', das zugegebenermaßen etwas nebulös beschrieben wurde, einfach, weil wir's nicht
besser wußten, schrieb uns Herr Steffen Reichel Folgendes:
Der Voreilhebel ist eigentlich nicht nötig, denn auch allein mit der Schieberschubstange kann die
Dampfmaschine laufen. Allerdings würde sie recht unrund laufen.
Denn der Dampf würde erst dann richtig in den Zylinder strömen, wenn der Kolben schon in die Richtung
unterwegs ist, in die er vom Dampf bewegt werden soll. Auch strömt der Dampf über den ganzen Weg des
Kolbens auf der Gegenseite aus, so daß die Schwungmasse des Kolbens ungebremst der Massenträgheit folgend
gegen den Zylinderdeckel schlagen könnte, zumindest aber aufgrund seiner Masse die Lager der Dampfmaschine mit
einem Stoß belastet, was in der Totpunktlage einfach ungünstig ist.
Daher bauten sowohl Walschaerts als auch Heusinger diesen Hebel ein. Er sorgt dafür, daß die Bewegung des
Schiebers der Steuerung ein wenig 'vorauseilt', sprich, noch bevor eigentlich die Steuerung das Öffnen des
Kolbenschiebers verursacht, sorgt die Bewegung der Steuerung zusammen mit dem Voreilhebel für eine
Schieberbewegung in Gegenrichtung. Die eigentliche Voreilung wird über die Schwinge verursacht. Um dieses Moment
aber zu mildern, sorgt der Voreilhebel dafür, daß hier nicht zu früh die Gegenbewegung erfolgt.
So ist die Steuerung voreilend, der Voreilhebel sorgt aber dafür, daß diese Voreilung aufgrund der
gebogenen Schwinge im exakt korrekten Zeitpunkt abläuft, indem er durch den Kolbenschieber gekoppelt die
Bewegung der Schieberschubstange beeinflußt.
Steht die Steuerung auf Mitte, also in Null-Lage, dann würde sich der Schieber eigentlich nicht bewegen; dank
des Voreilhebels bewegt sich der Schieber dennoch ein wenig. Diese geringe Bewegung hält den Ölfilm
geschmeidig an den Kolbenringen des Schiebers - notwendig wäre diese Bewegung aber nicht.
Bewegt sich nun der Kolben, so wird noch vor dem Erreichen der Totpunktlage der Kolbenschieber in Sperrstellung,
gebracht; so bildet sich auf der Ausströmseite ein minimales Dampfpolster, das den Kolben in seiner Bewegung
bremst und damit dessen Massenträgheit entgegenwirkt, so daß ein Schlagen der Massenkräfte in die
Lagerschalen vermieden wird.
Auch wird das Öffnen beschleunigt, so daß minimal vor Erreichen der Totpunktlage bereits der Schieber
umgesteuert wird - und die Dampfzufuhr in Gegenrichtung öffnet. Dampf strömt ein, verhindert ebenfalls
ein Anschlagen der Massen in der Totpunktlage in die Lager, sorgt aber dafür, daß sofort nach
Totpunktlage der Kolben mit Dampfkraft in Gegenrichtung gedrückt wird, wobei auf der Gegenseite bereits die
Auströmung geöffnet ist, so daß diese Kraft frei und ungehindert den Kolben bewegen kann.
Wir sagen Herrn Reichel recht herzlichen Dank für seine Unterstützung.
Wir haben viel dazugelernt.
Es erinnert an die 'Vorzündung' bei Otto-Motoren, wo ja der Zündzeitpunkt vor Erreichen des OT liegt. Die
Konstruktion des Voreilhebels müßte auch eine Verbesserung der Wirkungsgrades bewirken.
An anderer Stelle wird berichtet, daß mit dem Voreilhebel eine Art "Rückkopplung" bewirkt
werden soll, damit sich der Schieber beim Öffnen und Schließen der Schlitze schneller bewegt und somit
den Ein- und Ausström- Vorgang beschleunigt. Mit dem Verständnis dieser Version haben wir aber so unsere
Probleme, da in dem betrachteten Moment der Kolben in seiner Endposition (also einem Totpunkt) steht. Also stehen
auch der Kreuzkopf und die Lenkerstange still, somit auch das untere Ende des Voreilhebels. Eine zusätzliche
Bewegung des Schiebers in diesem Moment erscheint uns nicht möglich.
Wir wollten aber der Sache auf den Grund gehen und haben, weil wir früher einmal für Animationen 8 Bilder
des Antriebs gezeichnet hatten, von dort die Bewegungen am Ende der Schieberschubstange und die Bewegungen des
Schiebers abgenommen und aufgezeichnet. Es ergab sich am Schieber eine etwas voreilende sinusförmige Schwingung.
Genau das hat Herr Reichel auch beschrieben und genau das gibt der Stange auch ihren Namen. Und hinterher ist man ja
immer schlauer: ich kann aus 2 Sinus-Schwingungen gleicher Frequenz keine irgendwie "verbogene" Schwingung
erzeugen. Dazu braucht es (nach Fourier-Analyse) immer harmonische Oberwellen, also ganz einfach gesagt, höhere
Frequenzen. Und die können bei einer so einfachen Gestänge-Anordnung nun mal nicht erzeugt werden!
Allerhöchstens würden sich bei sehr stark gestreckten Gelenk-Winkeln (etwa über 170°) merkliche
Übersetzungs-Ungleichmäßigkeiten einschleichen, aber das ist hier nirgends und nie der Fall.
Rein anschaulich: was sollte am Gestänge mit 3-facher Rad-Drehzahl laufen??? (Diese Frequenz wäre die
erste Oberwelle.)
Aber: an Protesten hierzu sind wir immer interessiert!
Für weitere Fragen stehen gern zur Verfügung:
- der MEC; Besichtigung und Fachsimpelei z.B. an unseren "Club-Abenden"
- der Autor: Hans Peter Kastner
Version vom 06.06.2022; erstellt am: 05.02.2006
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